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2023
Doctoral Thesis
Title
Auswirkungen der Sektorkopplung von Strom und Wärme durch Wärmenetze auf das europäische Stromerzeugungssystem : Eine modellbasierte Szenarioanalyse
Abstract
Im Zuge der Transformation zur Klimaneutralität der EU ist die Dekarbonisierung der Energieversorgung mittels Substitution fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien (EE) eine zentrale Aufgabe. Bisherigen Analysen zufolge kann zusätzliche Flexibilität auf dem Strommarkt durch eine engere Verknüpfung zwischen Stromsektor und anderen Nachfragesektoren die Marktwerte von erneuerbaren Energien auch bei steigenden Marktanteilen stabilisieren. Sektorkopplung kann somit nicht nur zur Dekarbonisierung anderer Sektoren dienen, sondern gleichzeitig Flexibilität für den Stromsektor bereitstellen und zu einem kosteneffizienten Übergang in ein klimaneutrales Energiesystem beitragen. Ein umfassender Vergleich der Auswirkungen von zusätzlicher Flexibilität durch Sektorkopplung im Stromsektor und ihres Beitrags zur Dekarbonisierung im europäischen Energiesystem erfolgte bislang nicht. Vor diesem Hintergrund ist das zentrale Ziel dieser Dissertation die Untersuchung der Auswirkungen einer effizienten Sektorkopplung von Strom und Wärme durch Wärmenetze auf das europäische Stromerzeugungssystem und insbesondere die Marktwerte von erneuerbaren Energien unter Berücksichtigung der ambitionierten Klimaschutzziele der EU. Des Weiteren wird die Flexibilität der strombasierten Fernwärmeerzeugung mit anderen relevanten Sektorkopplungsoptionen wie dezentrale Wärmepumpen in Gebäuden und Elektrofahrzeuge verglichen. Durch die hohe Komplexität der Transformation der Energieversorgung und der gegenseitigen Wechselwirkungen verschiedener Sektoren bietet sich eine modellbasierte Analyse an. In dieser Dissertation wird hierfür das lineare Optimierungsmodell Enertile genutzt und für die Beantwortung der Forschungsfragen entsprechend erweitert. Zum einen wird die Modellierung der Wärmeversorgung von Deutschland auf die Länder in Europa (EU 27+3) räumlich ausgeweitet. Zum anderen wird die Wärmenetzmodellierung hinsichtlich Großwärmepumpen und direkter erneuerbarer Wärmequellen, tiefe Geothermie, Solarthermie und Biomasse als Brennstoff, technologisch erweitert. Enertile bietet damit gleichzeitig für alle Länder eine integrierte Optimierung von Strom und Wärme und betrachtet dabei Leistungsausbau und stündlichen Einsatz zur Strom- und Fernwärmeerzeugung sowie ihre untereinander auftretenden Wechselwirkungen. In der modellbasierten Szenarioanalyse wird für den Vergleich der drei untersuchten Sektorkopplungsoptionen die Verfügbarkeit der hierdurch eingebrachten Flexibilität mithilfe von zwei Betriebsarten systematisch variiert. Als Indikator für eine gelungene Integration der erneuerbaren Energien ins Stromsystem werden die Marktwerte von EE auf Basis der stündlichen Grenzkosten der Stromnachfrage (Schattenpreise) herangezogen. Die Ergebnisse unterstreichen die wesentliche Bedeutung von Großwärmepumpen als zentrale und kosteneffiziente Erzeugungstechnologie in Fernwärmenetzen in einem stark dekarbonisierten, europäischen Energiesystem. Sie ergänzen hierbei die direkten erneuerbaren Wärmequellen tiefe Geothermie, Solarthermie und Biomasse. Außerdem wird bestätigt, dass eine effiziente Sektorkopplung eine Stabilisierung der Strompreise und Marktwerte von erneuerbaren Energien trotz hoher Marktanteile ermöglicht. Dies zeigt sich in einem reduzierten Auftreten von Nullpreisen bei EE-Stromüberschüssen und Preisspitzen bei EE-Stromknappheit. Die drei untersuchten Sektorkopplungsoptionen wirken sich dabei unterschiedlich auf das Energiesystem aus. Flexibel betriebene Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen erlauben eine begrenzte Lastverschiebung hin zu Zeiten geringer Last und niedrigen Strompreisen. Im inflexiblen Betrieb erhöhen sie die Preisspitzen aufgrund von Stromknappheit und des erforderlichen Zuschaltens von Leistungen mit geringer Auslastung, beeinflussen die Marktwerte jedoch kaum. Flexibel betriebene Fernwärmenetze können hingegen die Gesamtstromlast durch multivalente Erzeugungsstrukturen in direkter Reaktion auf die Situation am Strommarkt erhöhen oder verringern. Dementsprechend führt ihr inflexibler Betrieb infolge von EE-Überschüssen und Abregelung zu häufigeren Nullpreisen, einer generellen Reduktion der Strompreise und letztlich zum deutlichen Absinken der Marktwerte. Folglich ist die Flexibilität der multivalenten Fernwärmenetze im Vergleich zu Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen trotz des geringeren Anteils am Gesamtstrombedarf hinsichtlich einer kosteneffizienten und klimaneutralen Energieversorgung der EU besonders wertvoll.
Thesis Note
Karlsruhe, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Diss., 2023
Advisor(s)
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Language
German