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2006
Conference Paper
Titel
Keramik-Keramik und Keramik-Metall-Verbunde über 2K-Spritzgießen
Alternative
Ceramic-ceramic and ceramic-metal-compounds via 2C PIM
Abstract
Der 2K-Spritzguss ist ein in der Kunststoffbranche etabliertes Formgebungsverfahren (z.B. für abriebfeste Tastaturen, mehrfarbige Zahnbürsten), dessen Potential (Großserientauglichkeit, hohe Maßhaltigkeit, Formkomplexität) zum prozessinternen Fügen verschiedener Sinterwerkstoffe genutzt werden soll. Für entsprechende Bauteile reduziert sich damit der Fertigungsaufwand auf einen Prozessschritt. Durch die Wahl geeigneter Werkstoffkombinationen lässt sich die Funktionsdichte im betreffenden Bauteil erhöhen. Die Durchführbarkeit dieser Fertigungstechnologie ist dabei an zwei wesentliche Kriterien gebunden, das zeitlich aufeinander abgestimmte Einspritzen der Spritzgussmassen (Co-Shaping), sowie der gemeinsamen Wärmebehandlungsphase beim Entbindern und Sintern (Co-Firing). Innerhalb des Mehrkomponentenpulverspritzgusses unterscheidet man nach der zeitlichen Abfolge des Einspritzens zu kombinierender Materialien zwischen additiven und sequenziellen Verfahren zur Formkörpererstellung. Dem jeweiligen Verfahren entsprechend haben sich verschiedene Werkzeugvarianten herausgebildet. Für die Gruppe der sequenziellen Verfahren ist ein Kern-Hülle-Aspekt des betreffenden Werkstoffverbundes charakteristisch. Bei den additiven Verfahren werden die zu kombinierenden Werkstoffe schichtweise aufeinander gespritzt. Dabei kann die zuerst eingespritzte Komponente noch als Schmelze vorliegen oder bereits erstarrt sein. Spritzgussmassen im Pulverspritzguss sind hochgefüllte Polymergemische. Deren optimaler Füllgrad wird durch die Fließfähigkeit, sowie dem Grad der erreichbaren Mischungsgüte näher bestimmt. In Abhängigkeit von der Partikelgrößenverteilung des jeweiligen Pulvers liegen z.B. die Füllgrade kommerzieller ZrO2-Feedstocks bei ca. 48Vol.-%, bei kommerziellen Edelstahlpulvern bei ca. 56Vol.-%. Im Mehrkomponentenspritzguss zu kombinierende Werkstoffsysteme müssen kompatibel sein. D.h. die gemeinsame Wärmebehandlung bei Entbinderung und Sinterung setzt gleich stark gefüllte Bindersysteme mit ähnlicher Abbaucharakteristik und Werkstoffe mit weitestgehend ähnlicher Sinterdynamik, sowie überlappendem thermischen Verhalten voraus. Aus technologischer Sicht wird mit der Anwendung des Mehrkomponentenspritzgussverfahrens zur Formgebung von Stahl-Keramik-Verbundbauteilen Neuland betreten. Die Etablierung zueinander kompatibler Spritzgussmassen setzt umfangreiche Charakterisierungsarbeit voraus. Die Abstimmung der zu kombinierenden Materialsysteme erfolgt dabei auf der Ebene der Bindersysteme sowie der Pulver- und Feedstock-Zusammensetzung. Aus diesem Grunde kommen Standard-Messmethoden der Partikeltechnologie (Partikelgrößenanalyse, BET-Bestimmung, FESEM, XRD) und der Sintertechnik (Dilatometrie, thermische Analyse) ebenso, wie Messmethoden zur Charakterisierung des rheologischen Verhaltens von Spritzgussmassen zur Anwendung. Die für die jeweiligen Sinterwerkstoffe (Keramik-, Stahlpulver) gängigen Herstellungsverfahren bedingen eine zum Teil stark unterschiedlich ausgeprägte Pulverteilchengröße und Teilchenmorphologie. Während ZrO2-Pulver als im sub-micron-Partikelgrößenbereich erhältlich sind, erreichen die feinsten Edelstahlpulver durchschnittliche Partikelgrößen von minimal 5 µm. Die wesentliche Herausforderung bei der Realisierung eines Sinterwerkstoffverbundes besteht deshalb darin, Partikelpackungsdichte der jeweiligen Pulver und Pulverbeladung der entsprechenden Feedstocks so aufeinander abzustimmen, dass ein sinterfähiger Materialverbund entsteht. Durch den Angleich der Pulverbeladung korrespondierender Feedstocks wird zunächst sichergestellt, dass die Verbundpartner um den jeweils gleichen Betrag, ohne Materialspannungen in die Fügezone einzubringen, schwinden können. Im Falle zweier ZrO2-Feedstocks (schwarz/weiß) wird dies an den in ihrem Kurvenverlauf weitestgehend übereinstimmenden Schwindungsbeträgen im positiven Sinne dokumentiert. Hier besteht auch eine große Ähnlichkeit im Kurvenverlauf der zugehörigen Schwindungsgeschwindigkeiten, welche eine möglichst synchrone Materialverdichtung während der Sinterung belegen. Der Vergleich der Sintercharakteristik eines kommerziellen ZrO2- und eines Stahl 430-Feedstocks verdeutlicht einen ungleich größeren Unterschied in Betrag und Rate. Edelstahl beginnt bereits bei 700°C zu schwinden, ZrO2 erst bei ca. 950°C. Außerdem schwindet der ZrO2-Feedstock aufgrund seiner geringeren Pulverbeladung im Vergleich zum Stahl-Feedstock stärker. Bei der Auswahl und Modifizierung potenzieller Werkstoffsysteme zur sintertechnischen Verbundrealisierung dient also das Sinterverhalten in Betrag und Rate als Schlüsselkriterium. Vor allem hochgefüllte Keramik-Feedstocks bedürfen aufgrund der sehr feinen Partikelgrößenverteilung der verwendeten Pulver sehr hoher Scherkräfte um eine möglichst homogene Pulver-Binder-Mischung zu erreichen. Dazu werden die im Kneter vorgemischten Spritzgussmassen im Scherwalzenextruder weiterverarbeitet. Der in Form eines Fells auf der Walze haftende Feedstock erfährt dabei im Walzenspalt die größtmögliche Durchmischung. Nach Durchlaufen der Walzenstrecke kann der Feedstock als Granulat gewonnen werden, welches zur Weiterverarbeitung auf der Spritzgießmaschine bestimmt ist. Der Homogenisierungseffekt im Feedstock kann anhand des Vergleichs der Scherviskositätenverläufe vor und nach der Compoundierung auf dem Scherwalzenextruder belegt werden. Um die den jeweiligen Sinterwerkstoffen entsprechenden Festigkeiten zu erreichen, muss während der Sinterung eine nahezu 100%ige Verdichtung stattfinden. Für korrespondierende Zirkonoxid- und Stahl 430-Feedstocks wurde dies bei Füllgraden von ca. 47Vol.-%, sowie von 55Vol.-% erreicht. Dabei verdichtet der Edelstahl i.d.R. auf max. 98% der theoretischen Werkstoffdichte. Für die Untersuchungen wurden kommerzielle Feedstocks (Marke Catamold) aus dem Hause BASF, sowie eigens entwickelte Spritzgussmassen verwendet. Der kommerzielle Stahl-430-Feedstock wurde dabei auf den Betrag der Pulverbeladung des korrespondierenden ZrO2-Feedstocks verdünnt. Im PIM verwendete Binder- und Bindersysteme werden nach der Art ihrer Entbinderung unterteilt. Systeme zur gestaffelten Entbinderung sind in der Praxis eindeutig zu bevorzugen. Hier schafft eine erste extrahierende Entbinderungsphase (bei RT bis 110°C) ausreichend Porosität für die in der zweiten thermischen Entbinderungsphase (300 bis 400°C, verschiedene Atmosphären) notwendige Permeation des entweichenden Restbinders. Auf diese weise können Formkörper möglichst schnell und bauteilschonend vom Binder befreit werden. Bei der nachfolgenden Sinterung werden die Formkörper bis nahezu auf ihre theoretische Werkstoffdichte um den Betrag der vom entfernten Binder zurück gelassenen Porosität verdichtet. Für das System ZrO2-Stahl430 geschieht dies bei Temperaturen zwischen 1300 und 1500°C unter z.B. H2-Atmosphäre. Ein 2K-Formwerkzeu g ermöglicht die Realisierung von stirnseitig oder längsseitig (variable Schicht dicken) angespritzten Stabformkörpern. Sinterfähige Werkstoffverbunde können auf dieser weise einer Bruchmechanischen Charakterisierung (z.B. nach EN 843-1) zugeführt werden. Für in Schwindungsbetrag und Rate übereinstimmende ZrO2-Feedstoc ks, sowie für in Schwindungsbetrag auf einander abgestimmte ZrO2- und Stahl430-Feedstocks konnte ein entsprechender Material- bzw. Werkstoffverbund realisiert werden. Da speziell beim Keramik-Metall-Verbund unterschiedliche Werkstoffkonzepte, die sich z.T. diametral gegenüberstehen (Bindungsart), zu berücksichtigen sind, ist es sinnvoll auf unterschiedliche Strategien zur Verbundbildung zuzugreifen. So kann z.B. eine mangelnde Verbundfestigkeit in der Fügezone durch das gezielte Einbringen einer Materialüberspritzung verbessert werden. Das Anhaften der beiden sich berührenden Oberflächen führt so zu einem formschlüssigen Materialverbund. Ein Verbund bei dem lediglich die Oberflächenrauhigkeit der aneinander grenzenden Partikelpackungen der Werkstofffügepartner ausreicht, konnte zunächst nicht realisiert werden. Als Gründe dafür sind Delaminationen infolge geringer Unterschiede im Schrumpfungsverhalten der Spritzgießmassen während der Abkühlung sowie noch nicht restlos ausgeglichene Schwindungsunterschiede während der Sinterung in Betracht zu ziehen. Außerdem können die voneinander abweichenden thermischen Ausdehnungen von ZrO2 und Stahl 430 zur Delamination während der Sinterabkühlung führen. Verfahrenssimulationen (Moldflow, Femlab) bzw. mechanische Simulationen der spritzgegossenen Formkörper (Abaqus) werden genutzt um den Fertigungsprozess hinreichend zu beschreiben. Die in der Simulation vorhergesagte Schwindungsdifferenz zwischen Stahl430 und ZrO2 infolge der nicht exakt deckungsgleichen Ausdehnungskoeffizienten hat sich in der Praxis am Spritzling bewahrheitet. So können vor allem im Vorfeld der Werkstoffauswahl derartige Softwarewerkzeuge von Nutzen sein. Aber auch für die material- und werkzeugseitige Feinabstimmung zu kombinierender Spritzgussmassen sind sie ein unverzichtbares Arbeitsgerät.